Mitarbeiter von AfD-Mann Maximilian Krah festgenommen

Ein Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Maximilian Krah soll für Peking spioniert haben. Nun hat der Generalbundesanwalt ihn festnehmen lassen. Nachrichtendienste hatten ihn schon länger im Verdacht, an Chinas Staatsapparat angebunden zu sein.

Der Generalbundesanwalt hat in der Nacht auf Dienstag in Sachsen einen chinesischstämmigen deutschen Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten der Partei zur Europawahl Maximilian Krah festnehmen lassen. Der Vorwurf lautet geheimdienstliche Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall.

Jian G., 43, soll seit Januar Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen aus dem Europaparlament an einen chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben, so der Vorwurf der Ermittler. Zudem soll er chinesische Oppositionelle in Deutschland ausgespäht haben.

Die Ermittler gehen nach SPIEGEL-Informationen davon aus, dass Jian G. bereits seit langer Zeit für einen chinesischen Geheimdienst tätig war, mutmaßlich noch bevor er 2019 Mitarbeiter des sächsischen AfD-Europaabgeordneten Krah wurde.

Laut Bundesanwaltschaft führten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zu seiner Festnahme. Der Zugriff erfolgte durch das Landeskriminalamt Sachsen, die weiteren Ermittlungen in dem Fall übernimmt das Bundeskriminalamt. Jian G. soll nun in Karlsruhe einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden, der entscheidet, ob er in Untersuchungshaft kommt.

Jian G.s Verteidiger und Maximilian Krah waren für eine aktuelle Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Ein AfD-Pressesprecher teilte mit: »Die Meldungen über die Verhaftung eines Mitarbeiters von Herrn Krah wegen Spionageverdachts sind sehr beunruhigend. Da uns derzeit noch keine weiteren Informationen zu dem Fall vorliegen, müssen wir die weiteren Ermittlungen des Generalbundesanwalts abwarten.« Die AfD werde »alles unternehmen, um die Aufklärung zu unterstützen«, so der Sprecher.

Unterwegs in der Dissidenten-Szene

Nach SPIEGEL-Recherchen arbeitete Jian G. früher für die Dependance eines chinesischen Solarunternehmens in Dresden sowie eine LED-Handelsfirma, die ihren Kunden auch »transkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland und China« offerierte. Krah hat ihn mal als Anwalt vertreten, wie der AfD-Politiker Ende 2023 dem SPIEGEL bestätigte.

Vor einigen Jahren bewegte sich G. in der Dissidenten-Szene. Fotos zeigen ihn bei einem Treffen mit dem Dalai Lama im indischen Exil, in einem Erfahrungsbericht über die Reise beklagte er die »gewaltsame Unterdrückung« der Tibeter durch die Kommunistische Partei Chinas.

Ausländische Nachrichtendienste hatten ihn hingegen schon länger im Verdacht, in Wirklichkeit eng an den chinesischen Staatsapparat angebunden zu sein. Anfragen dazu ließ Jian G. im Dezember unbeantwortet.

Nach Recherchen des SPIEGEL bot Jian G. im vergangenen Jahr mehreren Nachwuchspolitikern der AfD-Jugendorganisation »Junge Alternative« (JA) Reisen nach China an. Es seien mehrere Delegationsreisen für Parteifreunde angedacht, ließ er Kader der JA in Sachsen wissen. Die Flüge müssten die Mitreisenden bezahlen, Essen und Übernachtungen in China würden übernommen.

Jian G.s Chef Maximilian Krah drängt innerhalb der AfD seit Jahren auf einen chinafreundlichen Kurs .

Im November 2019 reiste er nach Peking und in andere Städte, besuchte ein Forschungszentrum des umstrittenen Telekommunikationskonzerns Huawei und verbrachte sechs Nächte in vornehmen Hotels.

Kurz nach der Reise beschwerte Krah sich bei Mitgliedern der AfD-Bundestagsfraktion über deren harte Haltung gegenüber Huawei. Die Fraktion forderte zu dieser Zeit faktisch einen Ausschluss chinesischer Anbieter aus dem deutschen 5G-Mobilfunknetz. Er habe diese Position »mit einiger Verwunderung« zur Kenntnis genommen, schrieb Krah.

In einem Interview mit der rechtsextremen Zeitschrift »Zuerst!« beklagte Krah später, China sei der neue »Lieblingsfeind« des Westens. Wenn Europa ein »unabhängiger globaler Mitspieler sein möchte und nicht nur Vasall der Amerikaner«, dann müsse es »gute Beziehungen mit China anstreben«. Berichte über Umerziehungslager für Uiguren in der Region Xinjiang bezeichnete Krah auf Twitter als »Gruselgeschichten«.


Konrad Litschko 23.04.2024

Mitarbeiter von Krah festgenommen

Schon wieder Trubel um AfD-Europaspitzenkandidat Krah: Nun wurde sein Mitarbeiter festgenommen. Er wird beschuldigt, für China spioniert zu haben.

Maximilian Krah pflegt schon länger Kontakte nach China, reiste wiederholt in das Land. Nun wurde Jian G., ein Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl im Juni, am späten Montagabend im Auftrag der Bundesanwaltschaft in Dresden festgenommen. Das bestätigte die Behörde am Dienstag. Jian G. wird Agententätigkeit für einen chinesischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall vorgeworfen.

Der gebürtige Chinese soll nach taz-Informationen bereits seit mehreren Jahren für einen chinesischen Geheimdienst tätig sein. Seit 2019 arbeitet der 43-Jährige dann für Krah, nachdem dieser für die AfD ins Europaparlament eingezogen war. Im Januar diesen Jahres soll Jian G. dann wiederholt Informationen über Verhandlungen im Europäischen Parlament an einen chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben.

Zudem soll er chinesische Oppositionelle in Deutschland ausgespäht haben. Laut Medienberichten war Jian G. in der Vergangenheit auch selbst in Exilgruppen in Deutschland aktiv. Vor etlichen Jahren soll sich G. auch deutschen Geheimdiensten als Quelle angedient haben – eine Zusammenarbeit soll aber nicht zustande gekommen sein, weil er als unzuverlässig angesehen wurde.

Der Haftbefehl gegen Jian G. soll wesentlich auf Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz basieren. Die Ermittlungen führte das Bundeskriminalamt, die Festnahme erfolgte durch Beamte des Landeskriminalamts Sachsen.

Faeser nennt Vorwürfe „äußerst schwerwiegend“

Krah, der aktuell Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl ist, reagierte auf die Festnahme seines Mitarbeiters vorerst nicht. Bei der Verhandlung in Münster hatte er zuletzt explizit Jian G. angeführt, als Beispiel für seine angebliche Weltoffenheit. Ein Sprecher der AfD nannte die Festnahme „sehr beunruhigend“.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Vorwürfe „äußerst schwerwiegend“. Wenn sich diese bestätigten, sei das „ein Angriff von innen auf die europäische Demokratie“. Ebenso schwer wiege der Vorwurf der Ausspähung der chinesischen Opposition. „Wer einen solchen Mitarbeiter beschäftigt, trägt dafür auch Verantwortung“, erklärte Faeser. Der Fall müsse genau aufgeklärt und ausgeleuchtet werden.

Erst am Montag hatte die Bundesanwaltschaft drei Deutsche festnehmen lassen, die mit ihrem Unternehmen Wirtschaftsspionage für China betrieben und einen Speziallaser in das Land ausgeführt haben sollen, obwohl dieser einem Exportverbot unterlag.


Tanja Tricarico 22.04.2024

Chinas Spitzel-Verdiener

Drei Deutsche sollen China Details über Militärtechnik weitergegeben haben. Das zeigt, wie angreifbar deutsche Sicherheitssysteme sind.

Es wird viel spioniert in Deutschland. Erst in der vergangenen Woche wurden zwei mutmaßliche Spitzel und Saboteure in Bayreuth gefasst, die womöglich im Auftrag eines russischen Geheimdienstes Brandanschläge auf militärisch genutzte Orte geplant hatten. Am Montag nun gab die Bundesanwaltschaft den nächsten Fall bekannt.

Dieses Mal hat China Deutschland im Visier. „Die Beschuldigten sind dringend verdächtig, seit einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor Juni 2022 für einen chinesischen Geheimdienst tätig zu sein“, teilte der Generalbundesanwalt mit. Im Fokus stehen insbesondere Ina und Herwig F.

Im Internet trumpften die bisher groß auf. Seit 30 Jahren entwickele man „Innovationsprojekte“, mit „optimaler Vermarktungschance“, bewarb das Ehepaar ihre Firma. Mehr als 300 Erfindungen und 150 Patente habe man entwickelt, etwa für Rollläden-Motoren oder Elektroroller. Dabei unterhalte man neben Büros in Düsseldorf und London auch eines in Schanghai, mit Anbindung „an die intellektuellen Ressourcen der aufsteigenden Millionenmetropole“ und mit „zahlreichen Geschäftsverbindungen“ in den asiatischen Markt.

Doch seit Montag ist damit Schluss. Am frühen Morgen ließ die Bundesanwaltschaft Ina und Herwig F. in Düsseldorf festnehmen und ebenso einen Bad Homburger, der sich um Investoren kümmern sollte, Thomas R. Der Vorwurf: geheimdienstliche Agententätigkeit.

Mehr Distanz zu erwarten
Das Trio habe nicht nur aus eigenem Interesse für ihre Firma gearbeitet, sondern auch als Spione für China. Ein schwerer Vorwurf, der, nur wenige Tage nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz von einem Besuch aus China zurückkehrte, bekannt wurde. Und in einer Zeit, in der die Bundesregierung versucht, mit ihrer China-Strategie eine Balance zwischen Distanz und Zusammenarbeit zu finden. Unklar blieb am Montag, ob der Kanzler vor oder während seiner Reise über den Fall informiert worden war.

Die Festnahmen dürften nun die Distanz der Bundesregierung befördern. Denn laut Bundesanwaltschaft soll Thomas R. spätestens seit Juni 2022 mit dem chinesischen Geheimdienst MSS in Kontakt gestanden haben. Ein MSS-Agent habe dabei von dem 59-Jährigen Informationen zu militärisch nutzbaren Technologien erbeten und auch erhalten.

Konkret habe der MSS über Thomas R. eine Studie zum Stand der Technik von Maschinenteilen in Auftrag gegeben, die auch für den Betrieb von Motoren für Kampfschiffe eingesetzt werden könnten. Die Studie sei dann von der Firma von Herwig F. und Ina F. umgesetzt und laut Bundesanwaltschaft von chinesischen Stellen bezahlt worden.

Auch sonst sei das Unternehmen als Tarnmedium zur Kontaktaufnahme mit der deutschen Wissenschaft eingesetzt worden, so der Vorwurf. Mit einer Universität sei auch ein Kooperationsabkommen geschlossen worden, nach taz-Informationen mit einer ostdeutschen Hochschule.

Ein umfassendes Geschäft

Zuletzt soll sich das Trio in Verhandlungen über weitere Forschungsprojekte befunden haben, die China für maritime Kampftechnik hätte nutzen können. Auch habe die Firma, beauftragt und bezahlt vom MSS, einen Speziallaser gekauft und ohne Genehmigung ausgeführt, obwohl dieser unter die sogenannte EU-Dual-Use-Verordnung fiel und so nicht hätte ausgeführt werden dürfen.

Laut Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatte sein Dienst das Trio schon länger im Blick. Der Fall sei damit auch ein Ermittlungserfolg seines Hauses, der „deutliche Relevanz“ habe. Haldenwang warnte erneut, dass China auch in Deutschland Wirtschaftsspionage und Proliferation betreibe, also den Export von Gütern, die nicht ausgeführt werden dürften. Der aktuelle Fall sei „Teil eines umfassenden Geschäfts“.

Auch Iran, Nordkorea oder Russland seien in diesen Feldern aktiv, so Haldenwang. Die Länder seien mit einem „hohen Maß an Energie“ zugange und würden sich „aller Mittel“ bedienen – von Spionage über Cyberangriffe bis Desinformation.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verkauft die Festnahmen als großen Erfolg der Sicherheitsbehörden. „Wir haben die erhebliche Gefahr durch chinesische Spio­nage in Wirtschaft, Industrie und Wissenschaft im Blick“, so Faeser. Deutliche Warnungen hätten dazu geführt, dass Schutzvorkehrungen erhöht wurden. Den „betroffenen Bereich militärisch nutzbarer innovativer Technologien“ bezeichnete die Ministerin als besonders sensibel.

Wandel durch Handel? Naiv!

Dies reicht Roderich Kiesewetter, CDU-Außenpolitiker, jedoch nicht aus. Er bescheinigt China hierzulande ein leichtes Spiel. „Deutschland ist gegen hybride Angriffe auch durch nachrichtendienstliche Operationen schlecht gewappnet und sehr vulnerabel“, sagte Kiesewetter der taz.

Den Diensten fehle es im Bereich der Spionageabwehr an rechtlichen Befugnissen oder finanzieller und personeller Ausstattung. „Naiv“ – so sieht Kiesewetter den Umgang der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft mit China. Das Narrativ „Wandel durch Handel“ – mit dem auch Kanzler Scholz durch China tingelte, im Schlepptau eine Wirtschaftsdelegation – hält Kiesewetter mindestens für fragwürdig.

Dass es sich bei Spionage um ein gravierendes Sicherheitsproblem handelt, darüber besteht offenbar Einigkeit. Aber: „Leider fehlt es vielen Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bis heute oftmals an dem notwendigen Problembewusstsein für die von China und anderen autoritären Staaten ausgehenden Gefahren“, sagt Konstantin von Notz, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

Und das, obwohl die Bundesregierung sich sowohl in der China-Strategie als auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie darauf geeinigt hat, Abhängigkeiten von autoritären Staaten zu verringern. Dies betrifft vor allem Technologiefirmen, dazu zählen auch Komponenten chinesischer Firmen, die für Telekommunikation genutzt werden.


Von Christian Fuchs, Astrid Geisler, Holger Stark, Martín Steinhagen und Sascha Venohr

23. April 2024

Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah festgenommen

Der Generalbundesanwalt hat nach ZEIT-Recherchen einen Assistenten des AfD-Politikers Maximilian Krah festnehmen lassen. Dieser wird der Spionage für China verdächtigt.

Ein enger Vertrauter und langjähriger Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, ist in der Nacht zum Dienstag wegen Spionageverdachts verhaftet worden. Nach Informationen der ZEIT erfolgte der Zugriff in Dresden.

Bei dem Beschuldigten handelt es sich um den 43-jährigen gebürtigen Chinesen Jian G. Ihm wird Agententätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall zur Last gelegt. Jian G. steht im dringenden Verdacht, seit Jahren für den chinesischen Geheimdienst spioniert zu haben.

G. besitzt nach ZEIT-Recherchen mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft und war nach seinem Studium in Deutschland zunächst als Geschäftsmann aktiv. Als Maximilian Krah 2019 ins Europaparlament einzog, holte er G. als Assistenten in sein Brüsseler Team. Wenig später begleitete G. den AfD-Politiker auf eine Reise nach China. Spätestens seit dieser Zeit soll er für die Behörden in Peking gearbeitet haben.

Die Ermittler werfen G. vor, die chinesische Exilopposition in Deutschland ausspioniert zu haben. Er soll sich in verschiedenen Funktionen in oppositionellen Gruppen engagiert und dabei Informationen über chinesische Dissidenten gesammelt haben. Diese habe er nach China gemeldet, zu einer Art Führungsoffizier. Im Januar 2024 gab der Beschuldigte wiederholt Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen im Europäischen Parlament an seinen nachrichtendienstlichen Auftraggeber weiter, schreibt die Generalbundesanwalt in einer Mitteilung.


Generalbundesanwalt

Festnahme wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit
Ausgabejahr 2024
Datum 23.04.2024

Festnahme wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit
Die Bundesanwaltschaft hat gestern (22. April 2024) den

deutschen Staatsangehörigen Jian G.

von Beamten des Landeskriminalamts Sachsen in Dresden vorläufig festnehmen lassen. Zudem wurden die Wohnungen des Beschuldigten durchsucht. Ihm wird Agententätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall zur Last gelegt (§ 99 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB).

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Beschuldigten im Wesentlichen folgenden Sachverhalt vor:

Jian G. ist Mitarbeiter eines chinesischen Geheimdienstes. Seit dem Jahr 2019 arbeitet er für ein deutsches Mitglied des Europäischen Parlaments. Im Januar 2024 gab der Beschuldigte wiederholt Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen im Europäischen Parlament an seinen nachrichtendienstlichen Auftraggeber weiter. Zudem spähte er für den Nachrichtendienst chinesische Oppositionelle in Deutschland aus.

Der Beschuldigte wird im Laufe des heutigen Tages dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der über den Erlass eines Haftbefehls und den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden wird.

Das vorliegende Verfahren geht auf Erkenntnismitteilungen des Bundesamts für Verfassungsschutz zurück. Mit der Durchführung der polizeilichen Ermittlungen ist das Bundeskriminalamt beauftragt.


Von J. Mueller-Töwe, A. Leister, L. Wienand, C. Janz, M. Graewert

01.10.2023

Geld und Geheimdienste  – Das China-Gate des AfD-Spitzenkandidaten

Die AfD will mit Maximilian Krah als Spitzenkandidat zur Europawahl antreten. Das wird für die Partei zum Problem: In sein Umfeld floss Geld aus China.

Es geht um Geld und Geheimdienstkontakte, um verschlungene Firmennetzwerke, Interessenkonflikte und chinesische Staatspropaganda. Vor allem geht es um die Glaubwürdigkeit einer Partei, die vorgibt, eine Rechtsstaatspartei zu sein, nicht käuflich also oder beeinflussbar: die AfD. Und besonders um ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl, dessen Verbindungen nun all das infrage stellen.

Als Mitglied des AfD-Bundesvorstands hat Maximilian Krah die zunehmend chinafreundliche Haltung der Partei maßgeblich geprägt. Leitlinie dieser neuen Offenheit gegenüber der kommunistischen Diktatur ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Krahs Vision: Die dortige Unterdrückung, Chinas militärische Aggression und Erpressung anderer Staaten sollen für die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik keine Rolle mehr spielen. Stattdessen soll Deutschland in einem Freihandelsraum mit Russland durch chinesisches Geld erstarken, um den USA die Stirn zu bieten. Für eine solche Politik kämpft Krah schon lange in der vermeintlich antikommunistischen AfD.

Recherchen von t-online zeigen nun, dass Krah den Anstoß für ein deutsch-chinesisches Lobby-Netzwerk gab. Ein enger Vertrauter orchestrierte es direkt aus Krahs Abgeordnetenbüro in Brüssel und lotste Politiker in den Einparteienstaat. Zeitgleich floss über das Netzwerk Geld aus China in Richtung des Vertrauten. Es gibt Hinweise auf Verbindungen zum chinesischen Staat.

Der AfD-Spitzenkandidat sagte t-online, er sehe keine Interessenkonflikte. Sein Vertrauter äußerte sich nicht zu zentralen Fragen.

Krahs China-Gate: Es ist ein Politthriller, der in der jüngeren deutschen Geschichte einzigartig scheint.

„Ich habe die Gruselgeschichten über Xinjiang immer für fragwürdig gehalten, Anti-China-Propaganda ohne valide Fakten.“

Maximilian Krah über die Masseninternierungslager, 12. Oktober 2021

1) Inspiration aus Shanghai

Maximilian Krah befürwortet keinen Genozid, keine Morde, Drohungen mit Angriffskriegen oder die Internierung von Millionen. Das würde der AfD-Spitzenkandidat verständlicherweise empört von sich weisen. Das seien gute Gründe, keinen Handel zu treiben, „da bin ich ja der Letzte, der das anders sieht“, sagte er in einem Podcast vergangenes Jahr zu einem Parteifreund.

Nur bestreitet Krah entsprechend fast alles, was China üblicherweise zur Last gelegt wird.
Die Internierungslager für Uiguren und andere Minderheiten in der Provinz Xinjiang hält er für „Gruselgeschichten“ und „Anti-China-Propaganda“. Das von China bedrohte demokratische Taiwan gehöre völkerrechtlich zur kommunistischen Diktatur. Auch Tibet sei Chinas rechtmäßiges Territorium.

„Die Informationen, die man hat, sind oft einseitig, man muss aufpassen“, sagte Krah im Podcast. Wer es wage, Fragen zu stellen, gelte sofort als „pro-chinesisch“. Dabei müsse man einen kühlen Kopf bewahren, deutsche Arbeitsplätze seien wichtiger „als irgendeine NGO in Hongkong“.

Ob einige dieser Einsichten aus seiner eigenen Zeit in China stammen, ist nicht bekannt, unbestritten jedoch ist, dass seine Beziehungen dorthin weit zurückreichen. Schon Anfang der 2000er bereiste er das Land. Und nach seinem Jurastudium und einer Promotion in Dresden absolvierte er ein internationales Management-Studium, dessen Auslandsstationen er in Hongkong und Shanghai verbrachte.

Krah blieb dem Land auch danach verbunden.

„Ich habe Freunde in China“, schrieb er im Oktober 2018 bei Facebook, um eine Reise nach Shanghai zu rechtfertigen, kurz bevor seine Partei ihn erstmals als Europakandidat aufstellte. Wer diese Freunde sind und warum sie ihn damals offenbar zur Veranstaltung einer Frontorganisation der Kommunistischen Partei lotsten, erläuterte er damals nicht weiter. t-online sagte er nun, es seien ehemalige Klassenkameraden aus seinem Studium gewesen.
Sein Vortrag fand damals jedenfalls unter der Schirmherrschaft der „Silk Road Think Tank Association“ (SRTA) statt, die im Auftrag des „International Department of the Central Comittee of the Communist Party of China“ (IDCPC) Kontakte ins Ausland knüpfen soll. Krah fühlte sich dadurch „inspiriert“. Er habe sich „schlau gemacht über eines der größten Entwicklungsprojekte unserer Zeit, die Neue Seidenstraße“, schrieb er.

Der deutsche Verfassungsschutz bezeichnet das IDCPC mittlerweile allerdings offen als Teil des chinesischen Geheimdienstapparats. Es spiele für die „Beschaffung hochwertiger politischer Informationen sowie zur Beeinflussung von Entscheidungsprozessen im Ausland“ eine zentrale Rolle. Bei Kontakten dorthin gelte „besondere Vorsicht“, bisweilen agierten IDCPC-Angehörige auch verdeckt, heißt es in einem Sicherheitshinweis, den das Bundesamt im Juli 2023 an die gesamte deutsche Politik und Verwaltung schickte.

Die dringende Empfehlung: „Vermeiden Sie im Austausch mit IDCPC-Angehörigen alle Handlungen, die tatbestandlich im Sinne von § 99 StGB gewertet werden könnten.“ Der Paragraf regelt die Strafbarkeit einer Tätigkeit für den Geheimdienst einer fremden Macht. Krah sagt, er habe sich damals „nicht mit Diplomaten oder sonstigen Amtsträgern getroffen“.
Trug Krah seine Inspiration aus Shanghai ins Europarlament, wo er im Mai 2019 ein Abgeordnetenmandat für die AfD errang?

„72 Jahre Volksrepublik China: Herzlichen Glückwunsch!“

Videobotschaft von Maximilian Krah, September 2021

2) Brüsseler Freundschaft mit China

In seiner dortigen Fraktion sorgten Krahs Positionen zu China jedenfalls über Jahre für Unruhe. Wenn seine Parteikollegen eine China-Resolution des Europäischen Parlaments mittrugen, Krah aber dagegen stimmte. Wenn er in einer Stellungnahme „die angebliche ‚Ausbeutung und Internierung von Uiguren in Fabriken'“ anzweifelte.

Warum gratulierte er per Videobotschaft zur Gründung der kommunistischen Volksrepublik? Warum gab er chinesischen Staatsmedien Interviews? Warum reiste er auf Kosten staatlich gelenkter Unternehmen nach China? Solche Fragen stellte sich nicht nur die Fraktion, denn Krahs chinafreundliche Aktivitäten standen im offenkundigen Gegensatz zu seiner Forderung, die Parlamentsarbeit müsse transparenter werden und sich vom Lobbyismus lösen.
Auffällig sei das, hieß es. Und schädlich.

Für besonderes Unbehagen sorgte im Parlament ein informeller Zusammenschluss mehrerer Abgeordneter ganz unterschiedlicher politischer Lager: die sogenannte „EU-China Friendship Group“, die für eine engere Zusammenarbeit mit China lobbyierte. Anfang 2021 setzte sie ihre Arbeit aus, nachdem die US-Zeitung „Politico“ ihre Aktivitäten öffentlich gemacht hatte. Heute dürfen solche Gruppen weder Logo noch Namen des Europaparlaments nutzen, damals gab es solche Regularien noch nicht.

Schon nach wenigen Monaten in Brüssel war Krah stellvertretender Vorsitzender – während er gleichzeitig dem Ausschuss für internationalen Handel angehörte, der bis Ende 2020 die Verhandlungen über das EU-Investitionsabkommen mit China begleitete. „Da haben wir uns schon gefragt, ob das, was dort besprochen wird, auch unter uns bleibt“, sagte ein Abgeordneter t-online. Man habe aber eben nichts Konkretes in der Hand gehabt.

Völlig unbegründet schienen die Bedenken jedoch nicht zu sein: Wie „Politico“ berichtete, war die sogenannte Freundschaftsgruppe maßgeblich von einem chinesischen Assistenten des tschechischen Abgeordneten Jan Zahradil organisiert worden. Zahradil war Vizevorsitzender des Handelsausschusses – und sein Mitarbeiter Teil einer Frontorganisation der Kommunistischen Partei Chinas, die Abgeordnete dorthin einlud.

Auch Krah reiste im November 2019 wieder nach China. Per Business-Class flog er nach Beijing, sechs Tage Luxushotels. So steht es in Krahs eigener Erklärung gegenüber dem EU-Parlament.

Bezahlt wurde der Trip demnach vom staatlich gelenkten Technologiekonzern Huawei, der ebenfalls staatlichen China National Petroleum Corporation (CNPC) und mehreren Stadtverwaltungen. Auf Anfrage von t-online sagte Krah, er habe den Flug selbst bezahlt. Huawei habe nur ein Zugticket, CNPC nur ein Essen bezahlt. Die Stadtverwaltungen hätten die Hotelkosten übernommen.

Auf dem Programm stand aber einmal mehr ein Gespräch mit dem Geheimdienst IDCPC, laut Verfassungsschutz unter anderem zuständig für „verdeckte politische Einflussoperationen“. Langfristiges Ziel sei es, „einflussreiche Personen zu Äußerungen und Handlungen im Sinne der Interessen der [Kommunistischen Partei Chinas] zu bewegen und in Deutschland ein Kontaktnetzwerk zu knüpfen, das die politische Agenda der [Partei] unterstützt“.
Krah sagt, niemand habe sich ihm als IDCPC-Mitglied zu erkennen gegeben. Seine Gesprächspartner seien „drei auf Deutschland spezialisierte Diplomaten“ gewesen. Er habe den Stand der Verhandlungen zum Investitionsschutzabkommen mit ihnen besprochen.
t-online erfuhr nun, wer Krah auf der China-Reise begleitete – und welche maßgebliche Rolle dieser Vertraute offenbar spielte.

Niemand weiß, was er tut, niemand hat irgendeinen Kontakt zu ihm, niemand denkt ernsthaft, dass er dort ist, um die Ziele der AfD voranzutreiben.“

Nicolaus Fest (AfD) über Krahs Assistenten, 18. April 2023

3) Der Vertraute

Über Krahs Assistenten Jian G. sind nicht viele persönliche Details in Erfahrung zu bringen. Einen ausführlichen Fragenkatalog von t-online wollte er nicht beantworten. Er sei keine Person des öffentlichen Lebens. Seine Aktivitäten machen es aber notwendig, seinen Werdegang nachzuvollziehen.

G. ist 42 Jahre alt und studierte zur selben Zeit wie Krah an der TU Dresden. Bis mindestens 2011 war er chinesischer Staatsbürger, bevor er die deutsche Staatsangehörigkeit annahm. Über viele Jahre war er ansässig in Krahs Heimatstadt. Dort war G. nach seinem Studium Import-Export-Unternehmer für Produkte aus China, während Krah dort eine Anwaltskanzlei und Unternehmensberatung betrieb.

Krah sagt, er kenne ihn seit 2014 und habe sein Unternehmen als Anwalt betreut. G. habe schon seine Reise nach Shanghai 2018 organisiert. Aufgrund seiner Praxiskenntnis habe er ihn dann angestellt. Im September 2019 wurde G. als einer der ersten Assistenten in Krahs Abgeordnetenbüro in Brüssel akkreditiert.

Innerhalb der AfD war die Personalie allerdings umstritten. Nicolaus Fest, der damalige AfD-Delegationsleiter im Europaparlament, sagte dem rechten Magazin „The European Conservative“: „Niemand weiß, was er tut, niemand hat irgendeinen Kontakt zu ihm, niemand denkt ernsthaft, dass er dort ist, um die Ziele der AfD voranzutreiben.“

Weitere Gerüchte betrafen mögliche Verbindungen zur Kommunistischen Partei Chinas. t-online liegt ein Beleg vor, dass G. im Winter 2021 EU-Abgeordnete anfragte, zu den Olympischen Winterspielen nach Beijing zu fahren. Es könnten hinsichtlich der Corona-Maßnahmen Ausnahmen für Politiker erwirkt werden.

„Jeder kann seine eigenen Schlüsse daraus ziehen“, sagte Fest. „Aber wie das Sprichwort sagt: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer.“

Trotzdem waren es zunächst nur Gerüchte. G. zeigte sich entsetzt über die Anschuldigungen. Viele führten sie ohnehin auf den Machtkampf in der Fraktion zurück. Krah nahm seinen Mitarbeiter in Schutz. Er gerate wegen seiner ethnischen Herkunft ins Visier politischer Gegner. Und damit war die Affäre zunächst abgeräumt.

Doch über G. ist wesentlich mehr zu erzählen, wie Recherchen von t-online jetzt zeigen.
Fotos aus den zwei Jahren vor seiner Anstellung bei Krah zeigen ihn im Kreise von Exil-Oppositionellen – bei Menschen also, denen der kommunistische Staat feindlich gegenübersteht. Bei taiwanischen und exil-chinesischen Demokratieaktivisten in Deutschland. Bei der tibetanischen Exil-Regierung in Indien. Beim Dalai Lama.

„Als Teilnehmer der demokratischen Bewegung Chinas“ solle man alle Kräfte vereinen, „um eine einheitliche demokratische Front aufzubauen“ und „den Prozess der Demokratisierung Chinas voranzutreiben“, schrieb er damals.

Das alles scheint nicht recht zu jemandem zu passen, der gleichzeitig Geschäfte mit chinesischen Unternehmen machte. Und später im Parlament und anderswo vor allem durch seine Kontakte zum chinesischen Staat in Erinnerung blieb. Auch die Demokratieaktivisten in Deutschland blieben auf Distanz, obwohl er sich angeblich sehr aktiv einbringen wollte – sie trauten G. nicht, erfuhr t-online aus ihren Kreisen.

Wenige Wochen nach der Abfuhr half er Krah bei seinem Shanghai-Trip zur IDCPC-Frontorganisation. Ein knappes Jahr später wurde er Krahs Assistent. Und seine Spuren führen zunächst zu einem dubiosen Lobbyverein, der den Zielen der Demokratieaktivisten kaum ferner stehen könnte.

„Die Arbeit des Vereins ist grundsätzlich überparteilich“

Aus der Satzung des „Neue Seidenstraße e.V.“

4) Das Netzwerk

Es ist der 19. August 2019 – kaum zwei Wochen bevor G. offiziell Krahs Assistent wird – als sich G. mit einer chinesischen Geschäftspartnerin und dem Dresdener Unternehmensberater Torsten Voß am späten Vormittag im Dresdener Hotel Kempinski trifft. Voß und Krah kennen sich seit Jahren und traten auch gemeinsam auf.

Auf der Tagesordnung der kleinen Versammlung, zu der noch einige weitere Männer aus der Consulting-Branche und ein chinesischer Manager stoßen, steht laut Protokoll eine Vereinsgründung: „Neue Seidenstraße e. V.“

Es entsteht ein zumindest merkwürdiges Konstrukt: ein Verein ausdrücklich ohne Gemeinnützigkeit, der also theoretisch Vermögen anhäufen oder Gewinne für die Mitglieder erzielen darf. Er wird später auf seiner Internetseite offenkundig Kundenakquise für seine Partnerunternehmen aus der Consulting-Branche betreiben, indem er Kunden nicht nur Finanz- und Rechtsberatung anbietet, Investitions- und Strategieberatung, sondern auch „Lobbyarbeit bei der Regierung“.

Die Ziele des „Neue Seidenstraße e. V.“ decken sich laut Satzung auffällig mit jenen der chinesischen Außenpolitik. Der Verein soll demnach unter anderem:
„auf die Landesregierungen Einfluss nehmen“, um Forschungsvorhaben gemeinsam mit China zu bearbeiten; politische Entscheidungen des Bundes und der Länder kommentieren und Anfragen an Parlamente stellen; Politiker, Parteien und Institutionen beraten, wenn es um „die Kerninteressen“ des „Deutsch-Chinesischen Agrarzentrums“ geht – eine gemeinsame Initiative des Bundesernährungsministeriums mit der Volksrepublik. Insbesondere solle er dabei „in beratender Funktion“ zur Überprüfung geplanter Maßnahmen beitragen.

Abweichend vom eigentlichen Vereinsnamen wird auch die Eigenbezeichnung „Handelskammer China-EU Neue Seidenstraße“ verwendet.

Zwar übernimmt Krahs Bekannter Voß zunächst den Vorsitz, die „Sächsische Zeitung“ wird allerdings später schreiben, die Gründung des Vereins gehe auf „einen hochrangigen chinesischen Vertreter in Brüssel“ zurück. Voß sagt t-online heute, diese Darstellung sei falsch.
Vielmehr seien Gespräche mit Krah über die Neue Seidenstraße Chinas ausschlaggebend gewesen. „Daraus entstand die Idee, einen Lobbyverein für die deutsche Industrie zu gründen und zu versuchen, deutsche und chinesische Unternehmen zu verbinden.“ Krah stellte ihm dafür G. vor. „Er brachte dann seine chinesischen Kontakte in den Verein ein.“
Auf diesem Wege sei dann die Unternehmerin Z. dazugestoßen. Sie wurde damals Vize- und später Vorsitzende des Vereins. Das Impressum der Homepage führt zu ihrer Geschäftsadresse. Und die aufgeführten „Experten“ sind überwiegend aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter sowie offenkundig mehr oder minder lose Geschäftskontakte. Zahlreiche schriftliche Fragen von t-online beantwortete sie nicht.

Von Nordrhein-Westfalen aus vertreibt Z. mit ihrem Unternehmen allerdings nicht nur Markisen ihrer chinesischen Muttergesellschaft. Unter diesem Deckmantel führt sie seit 2020 auch ein deutschsprachiges Propagandaportal namens „Tendenzblick“. Viele der Beiträge sind direkt von der Homepage des staatlichen chinesischen Auslandshörfunks übernommen: Radio China International. Die AfD kommt immer wieder prominent vor – vor allem Maximilian Krah. Schon einer der ersten veröffentlichten Artikel befasst sich mit ihm.

Und aus seinem Büro organisierte sein Assistent G. mithilfe von Z. und Krahs Bekanntem Voß ein Vorhaben mit offenkundig erheblichen Interessenkonflikten. Auf dessen vorläufigen Höhepunkt trafen sich alle mit dem heutigen AfD-Spitzenkandidaten in China. G. sagte t-online dazu, ihm liege „als gebürtigem Chinesen viel an der Deutsch-Chinesischen Freundschaft“.

„Unseren chinesischen Kontaktmann Jian G. fragte ich heute, wie viele Gastgeschenke wir denn in etwa bräuchten. Die Antwort ‚ungefährt 20‘!“

Tim Lochner, heutiger AfD-OB-Kandidat für Pirna, 2. Oktober 2019

5) Eine riesige Chance

Maximilian Krah ließ im Mai 2019 auf einer Bühne in Pirna keinen Zweifel daran, wie sehr ihm die 40.000-Einwohner-Stadt in der Sächsischen Schweiz am Herzen lag: „Es ist richtig, dass wir hier von Pirna aus (…) den Marsch beginnen, um Europa zu verändern.“ Seine Worte mochten dem Europawahlkampf und den bevorstehenden Kommunalwahlen geschuldet sein, dem Anlass für Krahs Rede in Pirna. Rückblickend lassen sie sich auch in anderem Licht betrachten.

Denn wenige Monate später, Anfang Oktober 2019, trat sein Bekannter Voß als Vorsitzender des gerade erst gegründeten Lobbyvereins mit einem überraschenden Angebot an die Stadt heran: Der Kreis Jinyun der bezirksfreien Stadt Lishui wolle eine Partnerschaft mit Pirna. Die Rede war von Investitionen in einen Industriepark der Stadt. So schildern es Beteiligte und so hieß es auch damals in der Presseberichterstattung.

„Kommt diese Partnerschaft zustande, ist das eine Riesenchance für Pirna“, zitierte ihn die „Sächsische Zeitung“. Der Ballungsraum Dresden spiele für die Chinesen eine große Rolle. Deswegen solle eine Delegation nach China fliegen, um die Chancen zu sondieren.
Offenbar ging die Initiative dafür aber gar nicht von Voß aus: Er sagt heute, die Stadt in China habe gegenüber der Unternehmerin Z. Interesse an einer Städtepartnerschaft mit Pirna gezeigt. G. habe ihm die Einladung überreicht.

Für die Pläne gewannen Voß und G. jedenfalls den der AfD nahestehenden Stadtrat Tim Lochner. G. habe ihn angerufen, um ihm den Vorschlag zu unterbreiten, sagte Lochner t-online. Die Stadt übertrug das Thema der Städtischen Entwicklungsgesellschaft, dessen Geschäftsführer schließlich zusagte. Gemeinsam reisten sie Anfang November 2019 in die Provinz Zhejiang.

Im etwa gleichen Zeitraum also, als Maximilian Krah auf Kosten der Chinesen mit seinem Assistenten das Land bereiste. Tatsächlich startete Krahs Gruppe einige Tage früher, besuchte aber dieselben Städte. Offenbar war das kein Zufall.

Krahs Assistent G. organisierte den Trip für die Reisenden aus Sachsen.

Beteiligte sagen, er habe für die Gäste aus Pirna die Visa besorgt. Er habe alle Termine vorbereitet. Er habe sogar vorher mitgeteilt, wie viele Gastgeschenke mitzunehmen seien. Der städtische Vertreter habe deswegen „einen ganzen Rollkoffer voll Pirnaer Sandsteinfiguren“ im Gepäck gehabt.

Einmal dort angekommen, sei die Delegation dann bei allen Gelegenheiten von hochrangigen öffentlichen Repräsentanten und in den Betrieben vom Topmanagement empfangen worden. Unter anderem im Herstellerwerk von Z.s Markisen-Firma und bei einem großen Gebrauchtwagenexporteur. G.s Netzwerk und seine Kontakte hinterließen deswegen einen bleibenden Eindruck.

G. war in China zwar mit Krah unterwegs, stattdessen begleitete die Unternehmerin Z. als Dolmetscherin die Gruppe. Am entscheidenden, hochoffiziellen Höhepunkt der Reise traf sich die Gruppe aber mit G. und dem heutigen AfD-Spitzenkandidaten – „überraschend“ und „nicht abgesprochen“, sagt Voß heute dazu. Krah sagt, er habe die Reise sowohl mit Voß als auch mit Lochner und G. besprochen.

„Ich war Redner auf einem Kongress einer Stadt, zu der auch eine sächsische Delegation angereist war“, schrieb Krah auf Facebook anlässlich des „1. Lishui Internationalen Stadtpartnerschaftsforums“ am 10. November 2019. Dass sein Assistent G. die Pirnaer erst dorthin gelotst hatte, erwähnte er nicht.

Im Laufe der Konferenz wurde schließlich eine Freundschaftserklärung zwischen Jinyun und Pirna unterzeichnet. Stadtrat Lochner darf sich seitdem „Botschafter der Internationalen Freundschaft von Lishui“ nennen. Er erhielt eine entsprechende Urkunde. Interessant ist, wer sie verlieh: die „Chinese People’s Association for Friendship with Foreign Countries“ (CPAFFC), sogar ihr Vizepräsident nahm an der Zeremonie teil.

Dabei handelt es sich um eine Organisation der Kommunistischen Partei, die mit inoffizieller Diplomatie betraut ist. Chinas Machthaber Xi Jinping betrachtet den Ausbau kommunaler Beziehungen als Macht- und Druckmittel. US-Geheimdienste ordnen der CPAFFC Einflussoperationen zu, denn von ihr initiierte Städtepartnerschaften wurden vielfach für Erpressungsversuche missbraucht – beispielsweise um die Beziehungen der Partnerstädte nach Taiwan zu stören.

Gleichzeitig gilt die CPAFFC als wichtiger Partner von Krahs damaliger „EU-China Friendship Group“, ihr chinesischer Organisator trug einen ihrer Ehrentitel. Krah sagte t-online, die Idee einer Städtepartnerschaft halte er weiterhin für gut. Es sei im deutschen Interesse, die Beziehungen zu pflegen und zu vertiefen. Das sehe auch die Landesregierung in Sachsen nicht anders.

Was die Kommunalpolitiker aus Pirna vermutlich nicht ahnten: Krahs Assistent und ehemaliger Mandant G. und die Unternehmerin Z. machten miteinander Geschäfte. Sowohl kurz vor der Reise als auch kurz danach flossen Zahlungen aus China in G.s direktes Umfeld.

„Der neue Geschäftsanteil in Höhe von EUR 99.000 (laufende Nr. 3) wurde in bar und in voller Höhe durch Überweisung auf ein Konto der Gesellschaft eingezahlt“

Auszug aus dem Handelsregiste

6) Geld aus China

Drei Plattenbausiedlungen am Stadtrand von Maximilian Krahs Heimatstadt Dresden. Die angrenzende Straße ist laut, die nächste Straßenbahn-Haltestelle ist weit. Was die meist älteren Bewohner dort hält – oft schon seit DDR-Zeiten – sind das angrenzende Naturschutzgebiet und die günstigen Mieten.

G. könnte es sich als Krahs Assistent vermutlich mittlerweile leisten wegzuziehen, vielleicht halten ihn aber andere Dinge. Jedenfalls teilt er sich in einem der grauen Plattenbauten seit spätestens 2019 bis heute Wohnanschrift und Klingelschild mit einer etwa gleichaltrigen Chinesin namens W. – seiner engsten Geschäftspartnerin seit fast zehn Jahren.

G. sagte t-online, er werde keine Fragen zu seiner Familie beantworten. Die private Verbindung zwischen G. und W. ist allerdings deshalb wichtig, weil Geld aus China im maßgeblichen Zeitraum der Delegationsreise offiziell an die Frau floss.

Ihren Ursprung hat die geschäftliche Verbindung im Jahr 2010: Damals gründete G. eine GmbH in einem anderen Plattenbau der Nachbarschaft. Stammkapital: 30.000 Euro. Über sie wollte er laut Handelsregister „insbesondere LED-Anlagen“ vertreiben. Zeitgleich war ihr Geschäftszweck „Wirtschafts- und transkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland und China“. Auf der damaligen Unternehmens-Webseite bot er an, geschäftliche Informationen zu beschaffen und auszuwerten, Verhandlungen zu begleiten, Dokumente zu übersetzen.

Anderthalb Jahre später kam W. ins Spiel. Sie übernahm Anteile am LED-Unternehmen, die übrigen erwarb ein Mann mit gleichem Nachnamen wie G. in China. Krahs heutiger Assistent selbst wurde Geschäftsführer. Es sei „ein kleines modernes Unternehmen mit familiärem Hintergrund“, hieß es damals in der Selbstbeschreibung. Man vertreibe die Beleuchtungen für eine angeschlossene Fabrik in China, die Teil einer Firmengruppe sei.

Am neuen Geschäftssitz, dieses Mal ein Mehrfamilienhaus am Stadtrand, teilen sich G. und W. ebenfalls bis heute ein Klingelschild.

Viele Jahre geschah nichts Ungewöhnliches. G. wurde mit dem Unternehmen Krahs Mandant. Ein deutscher Unternehmer stieg als Anteilseigner mit ein, die GmbH wurde umbenannt. G. bewarb sie in einem kleinen Stadtmagazin. Bis zum Jahr 2019. Krah war damals gerade erstmals zum Europakandidaten der AfD nominiert. Plötzlich geschehen dann viele bemerkenswerte Dinge in kurzer Folge.

Im Januar 2019 wird G. beim Notar in Dresden vorstellig. Mit Vollmachten der Unternehmenseigner veräußert er die Anteile des Mannes mit gleichem Nachnamen und des deutschen Unternehmers – an Z., die chinesische Markisenunternehmerin aus dem Rheinland. Künftig soll der Betrieb keine LED-Anlagen mehr verkaufen, sondern „Sonnenschutzprodukte und Alu-Bauelemente“.

Doch gemeinsam mit Z. bleibt auch W. Anteilseignerin, G. bleibt Geschäftsführer. Erst nachdem Krah im Mai 2019 sein Abgeordnetenmandat errungen hat, kommt wieder Bewegung in die Sache: Anfang August 2019 verkaufen wiederum Z. und W. ihre Anteile. Neue Eigentümer sind eine Auslandschinesin in Großbritannien und eine Frau in China. G. gibt die Geschäftsführung ab. Z. hingegen bleibt dem Unternehmen verbunden und wird später Geschäftsführerin.

Haben G. und W. also kurz vor seiner Anstellung bei Krah versucht, die Geschäftsverbindungen zu lösen, um Interessenkonflikte zu vermeiden? G. pocht auf Anfrage von t-online darauf: „Meine unternehmerische Tätigkeit habe ich mit Arbeitsantritt bei Herrn Dr. Krah beendet.“ Die Interessenkonflikte beginnen da aber erst.

Zehn Tage nach dem Verkauf des Unternehmens gründen G. und Z. den Dresdner Lobbyverein. Dort wird das gerade veräußerte Unternehmen als Partner gelistet. Z. lässt kurz nach der China-Reise den Geschäftszweck ergänzen: Nun soll das ehemalige LED-Unternehmen, neben dem Handel mit „Sonnenschutzprodukten“ und „Alu-Bauelementen“, auch „Dienstleistungen im Bereich von Geschäftsberatungen erbringen“, Investitionen verwalten und Unternehmen managen.

Das scheint nicht nur wie gemacht für den Verein, der ja auch Beratungsleistungen anbietet, sondern möglicherweise auch für ein anderes Unterfangen.

Denn bereits im Frühjahr 2018 haben G. und W. still ein weiteres Unternehmen gegründet, am gleichen Geschäftssitz in Dresden, wo noch heute ihr gemeinsames Klingelschild hängt. Erneut befasst sich der Geschäftszweck mit Consulting, also Beratung „bei der interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschland und China“ und Im- und Export.

Im Namen trägt die winzige Unternehmergesellschaft (UG) einen deutschen Anteilseigner, das erweckt aber einen falschen Eindruck: Der Mann im Rentenalter zahlt lediglich 100 Euro ins Stammkapital, W. hingegen 900 Euro. G. wird Geschäftsführer. Kurz nach der Vereinsgründung im August 2019 übernimmt W. seinen Posten.

Ob es dann zu maßgeblicher Geschäftstätigkeit beispielsweise im Zusammenhang mit dem Verein kommt, ist nicht nachzuvollziehen. Der Deutsche wird dort bis heute als Mitglied des Expertenteams geführt. Drei Monate nach G.s China-Reise mit Krah und den Delegierten aus Pirna kommt es aber zu einem erstaunlichen Geschäft.

Im Februar 2020 reist ein chinesischer Investor nach Deutschland. Er stammt aus derselben Stadt wie der chinesische Eigentümer von Z.s Markisenvertrieb – in der Provinz, die die Delegation bereiste.

Der Mann erwirbt alle Anteile des bislang mutmaßlich winzigen Unternehmens. Er hat offenbar Großes damit vor und Geld zur Verfügung. Per Bareinlage erhöht er das Stammkapital von 1.000 Euro auf 100.000 Euro. Der Name ändert sich, der Geschäftszweck bleibt gleich, er selbst wird Geschäftsführer.

Das alles wäre schon merkwürdig genug. Zu alledem scheint bei dem deutsch-chinesischen Geschäft wieder die Markisenunternehmerin Z. beteiligt zu sein, obwohl sie nirgends in den Unterlagen auftaucht.

Für die Übertragung der Unternehmensanteile nutzen die in Dresden wohnhafte W. und der chinesische Investor dieselbe Notarkanzlei in Düsseldorf wie Z. üblicherweise für ihr Unternehmen. Und die erste Geschäftsanschrift, die in den Unterlagen auftaucht, ist die von Z.s Markisenbetrieb. Eine weitere Adresse ist Z.s späterer Wohnsitz. Die Telefonnummer des wirtschaftlich dann neu gegründeten Unternehmens führt zum heutigen Verein.
Zwei Jahre später wird die vermeintliche Großinvestition wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht. 100.000 Euro Stammkapital – wo sie geblieben sind, ist den Unterlagen nicht zu entnehmen.

„Lupenreine Lobbypolitik“

Joana Cotar, ehemalige AfD-Politikerin, 31. Juli 2023

7) Was danach geschah

Offenbar war die China-Reise aus Pirna tatsächlich mit konkreten Geschäftserwartungen angebahnt worden. Nach dem Trip interessierte sich ein Investor für den Industriepark der Stadt: die Fanglin Group, ein großer chinesischer Gebrauchtwagenexporteur mit Sitz in Taizhou. So schildern es zwei mit der Sache befasste Quellen t-online. So ist es auch auf der Homepage des Vereins zu lesen.

Ein Manager der Fanglin Group gründete G.s Lobbyverein mit und wird heute auf der Homepage des Vereins als Generalsekretär geführt. Sowohl Krah als auch einige Tage später die Pirnaer Reisegruppe besuchten während der China-Reise das Unternehmen. Das Geschäft mit Pirna kam aber letztendlich nicht zustande.

Voß sagt, von dem Angebot wisse er nichts. Er habe den Verein im April 2020 verlassen. Z. wurde demnach Vorsitzende. Wenige Monate später startete ihr Propagandaportal „Tendenzblick“. Ihr Lobbyverein hat seitdem wenig öffentliche Aktivitäten entfaltet.
Stadtrat Lochner ist mittlerweile der AfD-Fraktion im Pirnaer Stadtrat beigetreten. Die Partei hat ihn zum Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl gekürt. Sollte er gewählt werden, werde er die Pläne für die Kooperation mit China wieder aufnehmen, sagte er t-online.

Maximilian Krah selbst soll nach der Reise an die AfD-Bundestagsfraktion herangetreten sein, um weitere Anträge gegen die Beteiligung von Huawei beim 5G-Netzausbau zu verhindern. „Lupenreine Lobbypolitik“ nennt das die damals zuständige, heute fraktionslose Bundestagsabgeordnete Joana Cotar.

Im Juli dieses Jahres kürte die Partei Krah schließlich zum Spitzenkandidaten für die Europawahl. Er sagt, er werde die Einstufung des IDCPC als Geheimdienst „auf Stichhaltigkeit prüfen“. G. arbeitet bis heute für ihn.


Von Christoph Koopmann und Lea Sahay
27. September 2023

Pekings langer Arm nach Pirna

Xi Jinping will sein Land zur Weltmacht Nummer eins machen. Dafür braucht er auch die Millionen Chinesen im Ausland. Die China-Connection reicht bis in die sächsische Provinz – und bis zu einem AfD-Spitzenpolitiker.

Wenn Tim Lochner von China erzählt, strahlt er. Wie sie ihn da behandelt haben. Als wäre er ein Staatsgast. Dabei war er ja nur Stadtrat aus Pirna, dem Tor zur Sächsischen Schweiz, 40 000 Einwohner, ein Dorf im Vergleich zu den Megastädten in China. Moment, ein Beispiel, sagt Lochner, springt auf vom Esstisch in seinem Fachwerkhaus, läuft ins Nebenzimmer und kommt mit einer goldenen Plakette wieder: „Tim Lochner“, steht drauf, und weiter auf Chinesisch und Englisch: „… wird hiermit der Titel des Internationalen Freundschaftsbotschafters von Lishui verliehen“. Das habe er als Einziger aus seiner Delegation bekommen, sagt er, und als Überraschung. Ihm sei nur gesagt worden, zieh dich schick an, du wirst um 17 Uhr abgeholt.

An seinem Hotelzimmer hätten ihn dann zwei junge Damen abgeholt, die Polizei habe die Straße gesperrt – nur um ihn ins Kongresszentrum gegenüber zu führen. Dort habe es eine Zeremonie gegeben für ihn und andere Ausländer, aus Frankreich zum Beispiel und aus Japan, mit Acht-Gänge-Menü, live übertragen ins chinesische Fernsehen. „Wie Hollywood war das“, sagt Lochner.

In Pirna ist er nicht irgendwer. Draußen im Hof scheint die Septembersonne auf einen Pritschenwagen, darauf sein Porträt und sein Wahlspruch: „Lochner kann Pirna“. Er ist parteilos, aber im November tritt er für die AfD an. Lochner will der erste AfD-Oberbürgermeister der Bundesrepublik werden. Er ist da ganz zuversichtlich.

Der AfD-Kandidat schwärmt noch heute, was die Chinesen ihnen alles geboten hätten

Die Geschichte von der großzügigen Einladung nach China im Herbst 2019 könnte das sächsische Städtchen bald wieder einholen. Und sie zieht weitere Kreise: bis in die höchsten Zirkel der AfD. Denn auch deren Spitzenkandidat für die Europawahl im kommenden Jahr, Maximilian Krah, war damals in Lishui. Er ist nicht mehr nur wegen seiner radikalen Gesinnung und seiner Nähe zu Björn Höcke im Visier des Verfassungsschutzes. Sondern auch wegen seiner zweifelhaften Verbindungen nach China.

Diese Geschichte verrät viel darüber, wie Chinas Machtapparat seinen Einfluss in Deutschland ausbaut. Wenn sie einen Anfang hat, dann um das Jahr 2016 herum. In dieser Zeit, sagt Lochner, lernt er Jian G. kennen, über gemeinsame Freunde. Ein Mann mit Wurzeln in China, der damals in Dresden eine Import-Export-Firma für Solar- und LED-Technik führt. Drei Jahre später dann kommt Jian G. mit einem Anliegen zu Lochner.

G. fragt, so erzählt es Stadtrat Lochner, ob er nicht einen Kontakt herstellen könne zur Stadtverwaltung von Pirna, ob es nicht Interesse gebe an einer Zusammenarbeit mit einer Gemeinde in China. Ob man nicht noch Investoren suche für den neuen Industriepark, der am Rand der Kleinstadt entstehen soll. Lochner stellt den Kontakt her.

Dann geht alles sehr schnell. Nur ein paar Wochen später, erinnern sich Beteiligte in Pirna, bekommen Lochner und die Stadtverwaltung eine offizielle Einladung aus China, in roter Schrift, mit offiziellem Stempel der Kreisverwaltung Jinyun, einer 400 000-Einwohner-Gemeinde, die zur bezirksfreien Stadt Lishui gehört, mit 2,5 Millionen Einwohnern.

Tim Lochner nennt Jian G. damals in einem Facebook-Post „unseren chinesischen Kontaktmann“. Die Chinesen, sagt Lochner, hätten alles organisiert, nur die Flüge mussten sie selbst buchen. Am 4. November 2019 startet die Pirnaer Delegation: Stadtrat Lochner, ein anderer AfD-Lokalpolitiker aus Berlin, als Vertreter Pirnas der Chef der Stadtentwicklungsgesellschaft, Christian Flörke, ein Unternehmensberater aus Dresden, Torsten V., und eine chinastämmige Markisenhändlerin aus Nordrhein-Westfalen, Min Z.

Das ist noch so eine Verästelung, die man kennen muss, wenn man diese Geschichte verstehen will. Sie beginnt drei Monate vor Abflug. Im August 2019 gründet der Unternehmensberater Torsten V. mit einem seiner Geschäftspartner und der Markisenhändlerin Min Z. einen Verein, der in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielt.

Der Name: Neue Seidenstraße e.V., genau wie Xi Jinping sein Megaprojekt getauft hat.

Diese Straße, die er seit zehn Jahren mit Abzweigungen in alle Ecken der Welt aufbaut.

Mit eigenen Häfen, Bahntrassen, Fabriken, Investments, mit engsten wirtschaftlichen Verflechtungen also, von denen bis jetzt in erster Linie einer profitiert: China. Das sehen zumindest viele Analysten so.

Auf der Website des deutschen Vereins Neue Seidenstraße steht, man suche für deutsche und chinesische Unternehmen „strategische Investitionsziele“ im jeweils anderen Land, helfe beim „globalen Geschäftslayout“, übernehme die „Zusammenarbeit mit der deutschen Regierung“. Klingt groß – aber wer sich auf die Suche nach dem Verein macht, landet in einem Industriegebiet im Rheinland, genauer: in der Markisenfirma von Min Z., der Frau aus dem Vereinsvorstand. Hier im Hinterhaus sitzt laut Adresse auf der Internetseite der Verein. Aber außer der Chefin sind nur zwei gelangweilte Mitarbeiter zu sehen in einem Lagerraum voller Markisen. Min Z. sagt, sie habe keine Zeit. Über den Verein gebe es eh nichts zu sagen, den lösche sie bald aus dem Register.

Unternehmensberater Torsten V. ruft aus dem Auto zurück. Er sagt, er habe damals die deutsche Wirtschaft mit chinesischen Investoren in Verbindung bringen wollen. In einem Gespräch mit einem „guten Bekannten“ sei die Idee entstanden, einen Verein zu gründen. Der Bekannte: Maximilian Krah, damals seit ein paar Monaten für die AfD im EU-Parlament. Der Politiker weiß auch jemanden, der helfen kann: Jian G. Sie kennen sich aus Dresdner Zeiten, Krah war sein Anwalt. Krahs Mandant G. bringt damals den Unternehmensberater und die Markisenhändlerin zusammen, um den Verein zu gründen.

Am 19. August 2019 steht laut Vereinsregister die Satzung. Keine zwei Wochen später fängt in Krahs Büro in Brüssel ein neuer Mitarbeiter an: Jian G. Und nur ein paar weitere Wochen später geht es auf große China-Expedition. Unglaublich, sagt Tim Lochner, was die Chinesen ihnen da geboten hätten: Messe in Shanghai, Kunst und Kultur, Firmenbesuche, nette Hotels.
Aber was ist das für eine Region, die so unbedingt eine Stadt wie Pirna für sich gewinnen will? Am besten also mal hinfahren. Der erste Halt: Qingtian. Das Wahrzeichen der Stadt ist eine steinerne Brücke im europäischen Stil. Gegenüber liegt die Straße Linjiang Ost, die an die Münchner Maximilianstraße erinnert. Im französischen „Cafe de Happy“ gibt es Sahne-Tarte mit Mais.

Qingtian ist in China als „Little Europe“ bekannt, die Häuser haben Heimkehrer erst vor ein paar Jahren gebaut. In der Stadt leben 500 000 Menschen, 330 000 einstige Einwohner sind ins Ausland gezogen. Der Slogan, den sich die Stadt selbst gibt: „Heimatstadt der Überseechinesen“. In Deutschland leben laut Schätzungen mehrere Zehntausend Menschen, die aus Qingtian stammen. Dabei gibt es hier insgesamt nur knapp 220 000 Menschen mit chinesischem Migrationshintergrund.

Im Örtchen Renzhuang, am Rand von Lishui, schließt eine Frau das Museum für Überseechinesen auf. Drinnen sind Überbleibsel von Frühauswanderern ausgestellt, ein Rasierapparat aus den Vierzigern, ein Volksbank-Sparbuch mit Reichsadler, ein Briefumschlag mit blauem Aufkleber: Luftpost. In Renzhuang schätzen die Behörden nicht, wie viele ihrer Bürger in anderen Ländern leben, sie wissen es: 30 940, also 6000 mehr, als in dem Ort noch wohnen. 64 neue Heimatstaaten zählt die Karte an der Wand des Museums. 15 696 Menschen sind zum Beispiel in Italien, 10 172 in Spanien, 542 in Deutschland, und einer in Uganda.

Es ist eine Präzision, die einem überall in der Region Lishui begegnet. Weltweit spricht China von 60 Millionen im Ausland lebenden Menschen mit chinesischen Wurzeln. Unabhängig von ihrem Pass und davon, ob sie sich noch mit ihrer Familiengeschichte identifizieren: Für die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) sind sie Chinesen. Wer ausreist, verschwindet nicht aus Pekings Statistiken. Im Gegenteil. Er gerät stärker in den Fokus.

Die Partei sieht die Auslandschinesen als Ressource, Xi spricht von einer „unersetzlichen Rolle“ für sein großes Ziel: Er will China bis 2049 zur Weltmacht Nummer eins machen. Der Erfolg der KPCh beruht auch darauf, dass Chinesen aus dem Ausland Wissen und Technologie zurück nach China bringen. Im Museum steht in roten Schriftzeichen ein Auszug aus einer Rede Xis von 2020: „Die wichtigste Eigenschaft der Überseechinesen ist die Liebe zum Vaterland.“
Sie sollen alles tun, um beim Aufstieg zu helfen: Kontakte herstellen, Werbung machen, und, wenn nötig, Druck ausüben auf jene, die Chinas Machtanspruch kritisch sehen. Die Journalistin Su Yutong erlebt, was das heißt. Sie ist 2010 aus China geflohen, der Süddeutschen Zeitung erzählte sie von Beschimpfungen, Bombendrohungen in ihrem Namen und fremden Männern, die vor ihrer Haustür in Berlin warteten. So geht es vielen, die in China verfolgt wurden und das Land verlassen haben.

Die wichtigste Eigenschaft von Auslandschinesen ist für Xi ihre Liebe zum Vaterland

Wer versucht, die Strukturen dahinter zu verstehen, stößt auf ein undurchsichtiges Geflecht. Im Überseemuseum in Renzhuang hängt eine Liste mit 48 Personen, die für die Betreuung der Auswanderer aus der kleinen Dorfgemeinschaft im Ausland zuständig sind: Sie führen eigene Organisationen in Rumänien, Frankreich, der Ukraine, der Schweiz, Brasilien. Für Deutschland werden vier Vertreter genannt, die sich um 542 Renzhuang-Chinesen kümmern.

Auch Deutsche gründen im Ausland Heimatvereine, bei Problemen können sie sich ans Auswärtige Amt wenden. Aber Peking geht viel weiter. „Wir haben für jedes Land eine Datenbank mit Ansprechpartner“, sagt eine Frau mit streng zurückgebundenem Haar, sie ist Büromanagerin eines Gründerzentrums in Lishui. Im fünften Stock eines Glasturms hat die Stadt Büroräume für heimkehrende Unternehmer eingerichtet. Die Managerin klickt sich durch ihre Datenbank, der Beamer wirft Hunderte Namen auf eine Wand. Namen aus Deutschland, Frankreich, Italien – Vertreter für die Chinesen aus Lishui, Qingtian, Jinyun. Auch Ansprechpartner in München stehen da und der Name einer Person, die eine Organisation führt, die sich in „Mittel- und Westdeutschland“ für Taiwans „Wiedervereinigung“ mit China einsetzt.

Die kleine Delegation aus Deutschland bekommt 2019 nichts von all dem mit. Sie wird umschmeichelt. Ein chinesischer Gebrauchtwagengroßhändler will im geplanten Industriepark in Pirna eine Art Verschiebestelle für importierte Autos aus China aufbauen. Und in Lishui steht das „Internationale Städtefreundschaftsforum“ auf dem Programm.

Der Stadtentwicklungschef Flörke erzählt, dort habe man ihm plötzlich ein Dokument vorgelegt. Er sitzt in seinem Büro in Pirna und kramt in seinen Unterlagen. Hier: „Absichtserklärung über die Herstellung einer freundlichen Austauschbeziehung“ zwischen dem Kreis Jinyun und Pirna. Überrumpelt unterschreibt Flörke damals.

Direkt vor ihm hält in Lishui ein anderer Deutscher eine Rede: Maximilian Krah von der AfD.

Er ist zu dem Zeitpunkt auf Einladung von drei Stadtverwaltungen in China, die auch die Hotels bezahlten sowie 500 Euro „Reisekostenzuschuss“. Auch Huawei, der umstrittene Telekommunikationsausrüster, und ein staatlicher Ölkonzern luden Krah zu sich ein, wie aus einem Parlamentsdokument hervorgeht. Immerhin: Sein Flugticket habe er selbst bezahlt, schreibt Krah auf Anfrage.

Auch ein anderer Bekannter ist nach Schilderung von Mitreisenden aus Pirna dabei: Krahs Mitarbeiter Jian G. Er ist bis heute bei dem AfD-Mann beschäftigt. Was der frühere Solaranlagenhändler in dessen Büro macht? Das interessiert mittlerweile auch deutsche Sicherheitsbehörden.

Jian G. ist 42. Er hat Wurzeln in China, nach Krahs Angaben ist er deutscher Staatsbürger. In einer Mail schreibt Jian G. der SZ, er habe von 2001 bis 2009 an der TU Dresden studiert, Geschichte und Germanistik, mit Magisterabschluss. Durch seine Jahre im Solargeschäft kenne er eben die Branche. Krah schreibt, er sei dadurch und durch seine Sprachkenntnisse der „ideale Fachmann für die praktische Seite der internationalen Handelspolitik“. Krah zufolge unterstützt G. ihn bei seiner Arbeit im Handelsausschuss.

Der deutsche Verfassungsschutz aber prüft nach SZ-Informationen, ob Jian G. oder andere Personen im Dunstkreis des Vereins Neue Seidenstraße möglicherweise im Auftrag Chinas handeln. Auf Anfrage schreibt Jian G., er habe nur in seinem Job als Krahs Assistent mit staatlichen chinesischen Stellen zu tun, mit Pekings diplomatischer Vertretung bei der EU. Seine Bekannte Min Z., die im Vorstand des Vereins ist, antwortet auch auf schriftliche Anfrage nicht. Krah selbst teilt mit, er habe nur Kontakte zu Chinas offiziellen Vertretungen in Brüssel, genau wie andere Abgeordnete. Geschäftliche Verbindungen nach China pflege er keine.

Selbst der Verfassungsschutz will wissen, wer der Mann in Krahs Büro ist

Doch seine Nähe zu Peking fällt auch dem Verfassungsschutz auf. Erst vor Kurzem hat die Behörde vor Einflussoperationen Chinas gewarnt. Besonders die „Internationale Abteilung“ des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei versuche, „einflussreiche Personen zu Äußerungen und Handlungen im Sinn der Interessen der KPCh zu bewegen und in Deutschland ein Kontaktnetzwerk zu knüpfen, das die politische Agenda der KPCh unterstützt“, schrieben die Verfassungsschützer Ende Juli in einem Sicherheitshinweis. Mitarbeiter der ZK-Abteilung arbeiteten auch verdeckt. Der Verfassungsschutz stuft sie inzwischen als „Geheimdienst einer fremden Macht“ ein.

Lishuis internationale Aktivitäten unterstehen seit 2019 exakt jener Abteilung. Als die Deutschen dort ankommen, ist der Umbau gerade abgeschlossen. Ob die Anbahnung zwischen Jinyun und Pirna nun staatlich gesteuert war oder Ergebnis freiwilligen Engagements – Carsten Schäfer, der an der Uni Köln zu Pekings Netzwerken im Ausland forscht, hält so etwas in jedem Fall für einen Erfolg für die KPCh: „Der Kontakt zu einflussreichen Menschen im Ausland ist ein wichtiger Teil der Einheitsfrontpolitik“, sagt er. Einheitsfront, so nennt Peking seine Netzwerke, die es um den Globus spannt.

In Peking dürfte es auch gut ankommen, wie AfD-Mann Krah sich zu China positioniert. Berichte über die Unterdrückung und Internierung der Uiguren nannte er „fragwürdig“ und „Anti-China-Propaganda“. Im EU-Parlament stimmte er gegen China-Sanktionen. Dafür nahm er zum 70. Jahrestag der chinesischen Besetzung Tibets ein Glückwunschvideo auf: „Ich finde, Sie haben allen Grund dazu, stolz auf das zu sein, was Sie erreicht haben.“ Vor den Olympischen Winterspielen 2022 erklärte er, ganz im KPCh-Propagandajargon, „gewisse Länder“ würden das Thema Menschenrechte „hochspielen“.

Krah war auch Vizevorsitzender einer „China-Freundschaftsgruppe“ im EU-Parlament, die 2021 nach kritischen Medienberichten aufgelöst wurde. Auf Weibo, einem der wichtigsten sozialen Netzwerke in China, schreibt Krah auf Chinesisch und teilt Interviews, die er chinesischen Staatsmedien gegeben hat. Die Seidenstraße lobt er dort als „exzellente Chance“. Der SZ schreibt Krah: „Generell halte ich gute diplomatische Beziehungen mit unserem größten Handelspartner für wichtig.“

Selbst Fraktionskollegen sagen, dass ihnen unverständlich ist, warum Krah sich so offen an Pekings Seite stellt. Der Umgang mit China ist in der AfD durchaus umstritten. Manche halten einen Schulterschluss mit Kommunisten für falsch, andere bemühen sich um freundlichste Beziehungen. Die Co-Parteichefin Alice Weidel war erst im Sommer in China. Weidel hat dort einst für ihre Promotion geforscht. Die Parteispitze will, dass Deutschland Spannungen mit China vermeidet.

Gerade knatscht es ja wieder gewaltig, seit Außenministerin Annalena Baerbock Parteichef Xi einen Diktator genannt hat. Und nicht nur im Außenministerium ist man beunruhigt über China, sondern auch in den Sicherheitsbehörden. Die Region Qingtian zum Beispiel ist dort längst bekannt. Seit 2018 wissen sie von sogenannten chinesischen Übersee-Polizeistationen in Deutschland – unter anderem gelenkt aus Qingtian, aufgeteilt in fünf Bezirke. Deren Leiter, allesamt eingewanderte Chinesen, sollen einerseits Vermittler sein für Behördenangelegenheiten ihrer Landsleute. Sie sollen diese aber offenbar auch genau im Blick behalten.

Warum ausgerechnet Pirna? Das fragt sich der Stadtentwickler jetzt auch manchmal

Auch 2019, als die Pirnaer Delegation und Maximilian Krah in Lishui sind, spielt die Überseepolizei eine Rolle. Während die Deutschen sich bei einer Kalligrafie-Vorführung und mit Peking-Opern-Darstellern fotografieren lassen, veranstalten die Behörden nur einige Kilometer entfernt ein Forum für ihre Einsatzkräfte im Ausland, das offizielle Ziel: die „Sicherheit“ im Ausland lebender Chinesen zu organisieren. Bei der zweitägigen Konferenz werden auch 30 neue „Polizeichefs“ und „Liaison-Manager“ berufen.

Auch am späten Abend in Qingtian sind die Auslandschinesen Thema. Da dröhnt über den Vorplatz des Bahnhofes der koreanische Hit „Gangnam Style“, Hunderte Menschen hüpfen einem Fitnesstrainer hinterher. Daneben stehen Fahnenmasten in Reih und Glied. An jeder weht die Flagge eines lokalen Überseevereins. Ein hausgroßer Bildschirm wirft Licht auf die Tanzenden, darauf: Xi Jinping. Bilder zeigen ihn bei einem Kongress für Überseechinesen, der gerade in Peking stattfindet. Die Staatspresse hat am Tag davor den Beitrag aller „Überseepatrioten“ gelobt.

Christian Flörke, Pirnas Stadtentwickler, schüttelt heute den Kopf, wenn er an die Reise denkt. Er sagt, ihm sei da schnell gedämmert, dass es wahrscheinlich nicht nur darum geht, neue Freunde zu finden. „Die machen das sehr geschickt, mit ihrer Gastfreundschaft, mit kleinen Geschenken. Aber man darf bei China nie naiv sein. Die verfolgen immer ein Ziel.“ Dass die Wahl ausgerechnet auf das kleine Pirna fiel – vielleicht, weil sie anderswo abgeblitzt waren, glaubt Flörke, und weil es nach Pirna eben Kontakte gab, die sie anderswo nicht hatten. „Bei einem nächsten Kontakt würden wir uns sehr gut überlegen, ob wir noch mal so naiv nach China fahren.“

Er ist jedenfalls froh, dass aus der großen Freundschaft nie wirklich was geworden ist. Eigentlich war für Frühjahr 2020 ein Gegenbesuch der Chinesen in Pirna angedacht, aber Corona kam dazwischen. Die Co-Chefin des Vereins Neue Seidenstraße, Min Z., spendete Pirna anfangs noch tausend Schutzmasken. Dann kam lange nichts außer Neujahrsgrüßen aus Lishui. Letztes Jahr, bei der Immobilienmesse Expo Real in München, habe er Min Z. noch mal getroffen, sagt Flörke.

Sie habe gefragt, ob man nicht wieder in Kontakt kommen wolle. Der Stadtentwickler sagt, er habe sich noch gewundert, was eine Markisenhändlerin bei so einer Messe macht. Unternehmensberater Torsten V. sagt, er habe den Verein Neue Seidenstraße kurz nach der Reise 2019 wieder verlassen, ihm sei das alles zu kleinteilig erschienen. Im Vereinsregister steht er noch als Vorstandsmitglied, aber er sagt, er habe Min Z. längst gebeten, ihn dort austragen zu lassen.

Tim Lochner sieht das alles ein bisschen anders. „Vielleicht müsste sich jetzt mal wieder jemand dran erinnern“, sagt er, an die Partnerschaft und an die Chancen, „und versuchen, das wieder anzuschieben. Vielleicht tu ich das auch.“ Wenn er Ende November tatsächlich für die AfD Oberbürgermeister in Pirna wird. Denn: Pirna könne doch nur profitieren. So sieht er das jedenfalls.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, neben Alice Weidel sei auch ihr Co-Parteichef Tino Chrupalla diesen Sommer nach China gereist. Mit Weidel reisten jedoch die Bundestagsabgeordneten Petr Bystron und Peter Felser. Wir haben diesen Fehler korrigiert.